Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T3

In der Schule habe ich glauben müssen, was man mir über das Leben erzählte.

Aber das waren meist subjektive Meinungen, die ich nicht vorbehaltlos übernehmen wollte. Es gab nur wenige Lehrer, denen ich eine objektive Meinung über das Leben zutraute. Ein Spruch an einer Wand des Schulgebäudes machte mich auf die Problematik des Lehrer‑Schülerverhältnisses aufmerksam:

„Wie kann ich lernen, was Sie wissen, ohne zu werden  wie Sie sind?“ stand da geschrieben.

Wollte ich so werden, wie meine Lehrer, Eltern oder sonstigen Vorbilder? Alle guten und leider  auch  schlechten Lehrer  werden irgendwann einmal zu Vorbildern. Nein, auf keinen Fall wollte ich zu den  Spießbürgern zählen, den Angepassten in unserer Gesellschaft.

Ich wusste nicht genau, was ich werden wollte, aber ich wusste ziemlich genau, was ich nicht werden wollte. Irgendetwas erwartet mich da draußen, das wusste ich genau und das Fernweh wurde immer schlimmer. Unzählige unglückliche Liebesversehen taten ein Übriges um mich hinauszutreiben in die große weite Welt. Ich kramte den alten Atlas meines Vaters hervor und legte mir eine Reiseroute zurecht. Gar nicht so einfach eine Route so willkürlich festzulegen. Zu viele Möglichkeiten gibt es da, wohin man gehen könnte. Gleichzeitig ergriff mich vor dem ausgebreiteten Atlas aber ein Gefühl von Freiheit. Ich konnte hingehen, wo immer ich hin wollte. Ein herrliches Gefühl. Die armen Leute in der  DDR dachte ich damals, welche Einschränkung ihr Leben doch durch die Mauer und das Regime, das diese erbaute, erfahren  musste.

Es gab Städte mit klangvollen und geheimnisvollen Namen, aber auch welche, die mir überhaupt nichts sagten. Manche Namen waren für mich einfach uninteressant. London ist so eine Stadt, die mich nicht neugierig machte. Paris dagegen faszinierte mich allein von meiner Vorstellung über Paris. Die Stadt der Liebe und Revolution. Nirgendwo sonst gibt es diese Leichtigkeit des menschlichen Daseins. Jede Straße erzählt von geschichtlichen Ereignissen und wenn man nachts auf den Boulevards spazierte, würde man mit etwas Glück bestimmt Napoleons Geist auf seinem Pferd durch die Straßen reiten sehen.

Eine Reise mit dem Rucksack um die Welt T2

Ich bin von eher hagerer  Statur, zwar zäh, aber nicht sonderlich mit Muskeln bestückt. Eine Waffe hatte ich mir nach reichlicher Überlegung aus dem Kopf geschlagen, weil die im Ernstfall eher gegen mich verwendet werden konnte.

Abgesehen vom Gewicht, das man mit sich herumzuschleppen hätte, waren da ja auch noch die unterschiedlichen Bestimmungen der einzelnen Länder über Waffen zu beachten. Alles in allem also entschied ich mich für  ein schweizer Taschenmesser, dass auch für weniger feindliche Aktionen wie das Kürzen von Fingernägeln geeignet war. Ansonsten betrachtete ich mein gesundes Misstrauen als besten Schutz vor unvorhersehbaren Schadensfällen. Ich durfte eben keinen Augenblick unaufmerksam sein. Immer auf der Hut vor möglichen Komplikationen. Ich machte es mir zur Aufgabe, mögliche gefährliche Situationen vorherzusehen. Natürlich blieb ein Rest an Angst, aber der konnte auch ganz nützlich sein, wie sich später zeigen sollte.

Allein die Tatsache, dass ich nur mäßig Englisch sprach und sonst keine andere Sprache stellte einen Risikofaktor in meinen Überlegungen dar. Wie sollte ich in wirklich gefährlichen Situationen den Überblick behalten, wenn ich kein Wort der jeweiligen Sprache verstand? In der Schule war mir das Fach Englisch eine Qual gewesen. Vielleicht deshalb, weil ich wegen meiner Zahnspange Schwierigkeiten mit der Aussprache hatte, aber ganz bestimmt deshalb, weil die Lehrer es nicht verstanden, mich für diese Sprache zu begeistern. Schade eigentlich. Ich sollte später noch Gelegenheit bekommen, mein Englisch  in Amerika aufzupolieren. Nun, es kostete mich eine gewisse Überwindung, aber diese Überwindung brauchte es, damit diese Reise zustande kam und es sollte eine Reise zu mir werden.

Das Geld teilte ich in kleinere Beträge und kaufte mir Traveller‑Schecks in Dollarwährung dafür. Einen Teil des Geldes versteckte ich unter der Sohle in meinem Schuh, einen anderen in einer selbst genähten Innentasche meines Hosenbeins. Dann hatte ich noch einen Gürtel mit einem Geheimfach darin.

Meine Hoffnung war, dass bei einem Überfall nicht alle Verstecke auf einmal gefunden werden konnten und mir so immer noch das eine oder andere Versteck mit einer Geldreserve blieb.

Mit dem Daumen im Wind

Eine Reise mit dem Rucksack durch Westeuropa T1

von Mathias Bleckmann

Es passierte im Orwell‑Jahr: 1984. Ich hatte gerade die schweißtreibende Prozedur des Abiturs mit mehr oder weniger Erfolg hinter mich gebracht  und war neugierig auf das Leben. Ich war 18 Jahre alt damals und das, was man als schüchtern bezeichnen könnte. Aber die Neugier war größer und besiegte meine Schüchternheit und ich stehe dafür ewig in ihrer Schuld.

Ich ahnte, daß da noch einige Erfahrungen zu machen waren, die nur auf mich warteten. Ich nahm also all meinen Mut zusammen und mußte als erstes  Überzeugungsarbeit bei meinen Eltern leisten. Sie waren sehr besorgt, weil man doch so viel Negatives aus aller Welt hörte. Für meine Eltern war die Welt schlecht und so mußte ich schon Durchsetzungsvermögen beweisen noch ehe ich überhaupt unterwegs war. Zunächst mußte ich das Geld für die Reise zusammen bekommen.

Ich verkaufte erst meine Enduro und dann mein Auto. Aber es reichte immer noch nicht. Ich arbeitete also für drei Monate in einer Fabrik. Die Arbeit war körperlich  sehr anstrengend und oft genug fiel ich nach zwölf Stunden Maloche nur noch müde ins Bett, um dann um 5.30 wieder zur Frühschicht aufzustehen. Manchmal überstand ich die Prozedur der täglichen Maloche nur mit dem Gedanken an die schillernde Zukunft. Die Arbeit machte mich stark, nicht nur körperlich. Sie bestärkte mich auch in dem Gedanken, daß ich später einmal keine Arbeit wie diese machen wollte.

Ich wollte mein Geld mit Köpfchen verdienen und nicht mit Schwitzen. Nach den drei Monaten „Steinbruch“ hatte ich die stolze Summe von fast 10.000 DM erarbeitet. Das mußte reichen für ein Jahr unterwegs. Das Geld bereitete mir jedoch nicht nur Freude. Irgendwie überkam  mich ein mulmiges Gefühl soviel Geld mit mir herumzuschleppen. Schließlich waren andere schon für weit weniger Geld erschlagen worden. Ich dachte also darüber nach, wie ich das Geld und mich vor derartigen Gewaltübergriffen schützen konnte.